Es ist der letzte Tag in der Schule… Weihnachten steht vor der Tür und heute ist ein besonderer Tag, denn alle sollen ihre schönsten Geschenke mitbringen, die sie jemals erhalten haben und darüber eine Geschichte erzählen. Das kleine Mädchen ist furchtbar aufgeregt, und nachdem sie ihren Kakao getrunken und sich angezogen hat, läuft sie in ihr Zimmer und krabbelt unters Bett, um ganz hinten einen alten Karton hervorzuholen. Voller Staub ist er, und sie muss niesen, als sie ihn wegpustet. Kurz schaut sie nochmal aus dem Fenster. Wow… denkt sie, denn ein bisschen hat es geschneit in der Nacht und es sieht aus, wie feiner Puderzucker, der sich über die Landschaft gelegt hat…

Plötzlich hat sie es eilig… Den Karton unterm Arm rennt sie die Treppe runter und macht sich fröhlich auf den Weg. Die Luft riecht so klar, so frisch… so sauber irgendwie. Ja, es wird ein schöner Tag werden! Mit roten Wangen kommt sie in der Schule an. Im Klassenzimmer sind schon fast alle da. Jeder hat natürlich seine besonderen Geschenke mitgebracht und alle sind aufgeregt und plappern wild durcheinander, bis die Lehrerin den Raum betritt. Feierlich zündet sie eine Kerze an und fordert die Kinder auf, sich in einem Kreis drumherum zu setzen. Draußen hat es jetzt wieder zu schneien begonnen. Die Flocken tanzten vor den Fenstern, und mit einem Mal breitet sich eine geheimnisvolle Stimmung, ja eine knisternde Vorfreude im Klassenzimmer aus.

Jeder fragt sich, was der andere wohl dabei hat und alle sind riesig gespannt, bis die Lehrerin das erste Kind auffordert, seine Geschenke zu zeigen und etwas dazu zu erzählen. Es sind Bücher, Spiele, Schmuck, Autos, eine Uhr… Lauter tolle Geschenke! Und die Geschichten dazu sind relativ schnell erzählt. „Von meiner Tante…“ „Das habe ich mir so gewünscht…“ „Das war das schönste Geschenk…“ So ging es unter vielen Ah`s und Oh`s reih rum. Je näher die Reihe nun zu dem kleinen Mädchen kam, desto flauer wurde ihr im Bauch… Hatte sie möglicherweise das Falsche mitgebracht… nicht richtig zugehört? Was hatte sie sich nur dabei gedacht?

Mit dem Fuß schiebt sie ihren Karton immer weiter nach hinten unter ihren Stuhl. Sie könnte ja immer noch sagen… Ich habs vergessen… oder irgendwas? Während sie noch fieberhaft nachdenkt, ist sie schon dran. Am liebsten wäre sie jetzt auf ihrem Stuhl unsichtbar geworden. Alle Augen sind auf sie gerichtet… „Nun zeig uns deine Geschenke, Marie!“ hört sie die freundliche Stimme der Lehrerin, wie von Ferne an ihr Ohr dringen… Und nach einer Weile… „Oder hast du keine dabei?“ „Na klar!“ Ein Mitschüler zeigt direkt auf den Karton unter ihr… Nun gab es kein Zurück mehr! Zögerlich zieht sie den alten Karton hervor, der jetzt noch viel älter aussieht, als er war.

Sie schaut noch einmal unsicher in die Runde, bevor sie ihn langsam öffnet… und Stück für Stück ihrer “kleinen Schätze”, wie sie sie immer nennt, hervorholt. Lange hat sie selbst nicht hineingeschaut und nun schämt sie sich sogar ein bisschen, als die „Geschenke“ so vor aller Augen da liegen… Irgendwie grau, alt und schäbig sehen sie aus – und doch sind sie so unendlich wertvoll, für sie. Ein Mitschüler zieht die Augenbrauen hoch. Zwei andere schauen sich an und grinsen… Doch sie achtet nicht mehr darauf. Es dauert einen Moment, bis sie zögernd anfängt, ihre Geschichten zu erzählen…

Zu dem Vogelnest, das sie im Wald gefunden hat, mit der halben Eierschale darin. Dass sie und ihr Papa später nachgeschaut haben, welcher Vogel das war und warum das Nest wohl zerstört wurde. Oder war es einfach nur bei einem Sturm heruntergefallen? Zu ihrer Muschelkette, selbst gemacht, aus den schönsten Muscheln, die sie gemeinsam mit ihrer Mama im Urlaub am Meer gesammelt hat und was sie dort erlebten. Zu dem schwarzen Stein, der wie geschliffen und doch voller winziger Löcher ist, von dem ihr Opa gesagt hat, dass er vielleicht irgendwann vor langer Zeit einfach aus dem Weltall gefallen sei…

Und zu dem alten Silberring, der schon ganz matt und dunkel ist, mit den geheimnisvollen Zeichen drauf, den sie von ihrer Oma geschenkt bekommen hat… und zu den wundervollen Märchen, die sie immer erzählte, als sie noch da war. Der Karton ist fast leer, bis auf das letzte Geschenk, das sie ganz zum Schluss vorsichtig aus ihrem Karton nimmt. „Und das ist das Halsband meines besten Freundes…“ Sanft streicht sie über das inzwischen brüchig gewordene Leder… „Er war der beste Freund, den man sich vorstellen kann…“ Die Unterrichtsstunde ist schon lange vorbei, doch keiner hat mehr darauf geachtet… denn mit glänzenden Augen beginnt sie, von ihm zu erzählen…

Von ihrem Hund, den sie so geliebt hat… von seinem weichen Fell und wie er sie immer getröstet hat… Dass er ihr zugehört hat, weil ihm konnte sie alles anvertrauen… Von seinem Lachen, seinen Streichen und all dem, was er ihr geschenkt hat… Dass sie heute noch oft in den Himmel guckt und glaubt, ihn dort zu sehen… Von ihren Träumen, wo er sie oft begleitet, so wie früher und sogar mit ihr spricht… “Ich weiß ganz sicher, sie können uns hören und schauen immer wieder nach uns! Immer dann, wenn wir an sie denken, dann sind sie da!“ Als sie aufhört, zu sprechen, ist es eine Weile mucksmäuschenstill im Raum… Nur die Kerze flackert.

In Gedanken ist jetzt jedes der Kinder bei sich selbst, bei den Geschenken und Erinnerungen, als die Lehrerin sich schließlich räuspert und in die Stille hinein sagt… „So schön jedes einzelne Geschenk ist… es sind alles „nur“ Dinge… Ihren wahren Wert erhalten sie jedoch erst durch das Gefühl, durch die Erinnerung… das, was wir erlebten gemeinsam! Es ist das Leben, das Lachen… die Liebe, die uns mit Menschen und Tieren verbindet! Das ist es, was wirklich wertvoll ist!“ „Ihr Lieben…“ fährt sie mit leiser Stimme fort… „Die wahren Geschenke tragen wir im Herzen! Vergesst das nie! Sie sind es, die für immer bleiben…”

(Sylvia Raßloff)

Mit dem Licht der Hoffnung wünsche ich euch einen schönen 4. Advent…

Danke von Herzen für eure lieben Kommentare zu meinen Zeilen gestern… Danke, dass Ihr hier seid ♥

Ich wünsche euch…